Sonntag, 10. Januar 2010

Fehleranalyse - erbarmungslos oder skrupellos?

Jetzt wollte ich eigentlich etwas zum Thema Kässmannsche Weihnachtspredigt schreiben, doch mangelt es mir an Zeit und Zettel kommt mir mal wieder mit etwas anderem zuvor.

Im Beitrag Aktuelles zum Krieg der Dschihadisten (1): Ist Umar Farouk Abdul Mutallab ein Krimineller? Nebst einer Erinnerung an den Fall Khalid Sheik Mohammed

verweist er zunächst auf einen Talkshowauftritt des früheren New Yorker Bürgermeisters Rudy Guiliani. Dieser, hebt Z. lobend hervor, "analysierte mit erbarmungsloser Schärfe alle Fehler, welche die Regierung Obama und vor allem der Präsident persönlich in Bezug auf den gescheiterten Terroranschlag von Detroit machten".

Ich halte ja wenig vom Gerede von Nationalcharakteristika aber es scheint irgendetwas im Deutschen im allgemeinen und in manchen ganz besonders zu geben, daß sich für Extremismus begeistert: da genügt es nicht, daß Herr Guiliani analysiert, auch scharf analysiert, nein es muß gleich "erbarmungslos" sein, ganz als ob Erbarmen eine geistige Behinderung wäre, die es zu vermeiden gälte. Vor einige Tag las ich im gleichen Blog von einem Kommentator, Diplomatie müsse deutsche Interessen "eiskalt" vertreten und sonst nichts. Fehlt nur "blitzschnell" und wir hätten Hitlers Lieblingsworte beisammen.

Aber zurück zu Guilianis Ausführungen. Nichts ist mir ferner als Obamas Regierungstätigkeit zu entschuldigen. Es war schon sehr nervig über die Feiertage (daher war mein Fernsehkonsum um Größenordnungen höher als normal) den US-Präsdidenten dreimal Kritik an der Vorgehensweise beim versuchten Flugzeuganschlag üben zu sehen - ganz also ob nicht er selbst der (zumindest politisch) Verantwortliche sei. Klar, als Präsident sollte er mal gehörigst seine Geheimdienstler zusammenstauchen - aber eben nicht öffentlich und wiederholt. Öffentlich muß ein Chef die Verwantwortung für die Fehler seiner Untergebenen übernehmen. Das hat ihm wohl irgendein PR-Berater gesteckt und so hat schließlich doch noch Verantwortung übernommen.

Andere feiern solch ein Verhalten natürlich ab, wie die Wochenzeitung mit den vier großen Buchstaben, die jubelt "
Barack Obama weicht dem Terror so wenig wie sein Vorgänger Bush. Nur wirft er die Moral dabei nicht völlig über Bord." Richtig - wer keine Moral hat, so wie Obama oder Zeit, kann auch keine über Bord werfen. Obama wird nun gelobt, weil er kein naiver, liberaler Friedensapostel sei - Bush hat man für gleiches angefeindet als sei er der Leibhaftige. Doch nicht alle Kritik am Teleprompterpräsidenten ist gerechtfertigt (und für Zettel ist Obama genauso der Leibhaftige wie für andere GWB - höchstens "die Kommunisten" gehen da noch drüber. Man kann ihm das nicht vorwerfen, denn er ist nunmal "da nicht sehr differenziert")

Guiliani kritisierte laut Zettel vor allem
die Behandlung des Attentäters Umar Farouk Abdul Mutallab.

Dieser ist, sagte der Jurist Giuliani, ein feindlicher Kämpfer (enemy combatant), der innerhalb des Kriegs, den die Dschihadisten gegen die USA führen, eine Aktion unternommen hat; so etwas wie ein Kommando- Unternehmen. Er wurde dazu von der Kaida im Jemen ausgebildet und mit den für das Zünden einer Bombe erforderlichen Mitteln auf seine Mission geschickt.

Er ist kein Krimineller, sondern ein irregulärer Kämpfer. Es wäre richtig und völlig legal gewesen, ihn als solchen zu behandeln; ihn also zu verhören, festzuhalten und schließlich vor ein Kriegsgericht zu stellen, so wie das Präsident Bush für gefangene feindliche irreguläre Kämpfer angeordnet hatte; und so, wie es dem Völkerrecht entspricht.

An dieser Analyse ist nun einiges falsch.

Erstens wird das Problem verzerrt dargestellt. Einen "feindlichen Kombatanten" - und von diesem spricht Guiliani - kann die andere Kriegspartei nach geltendem Völkerrecht unbegrenzt festhalten, meist bis es zu einem Friedensschluß kommt. Das war immer unbestritten.

Es ging der Regierung Bush aber um "irregulären Kämpfern" (Zettel kann anscheinend nicht unterscheiden, wechselt er doch wiederholt zwischen den beiden
Begriffen hin und her), denn die Besonderheit von Al-Kaida-Angehörigen ist ja, daß sie kein Völkerrechtssubjekt vertreten mit dem man Frieden schließen könnte sondern eine Terror-NGO. Deshalb konstruierte bzw. wiederbelebten Bushs Leute den Begriff des "irregulären Kämpfers" und bestimmten, dieser sei weder Kriegsgefangener (der nach Friedenschluß freizulassen sei) noch Krimineller (der Anspruch auf einen Gerichtsprozeß habe) sondern etwas Drittes, den man auch ohne Prozeß unbegrenzt festhalten könne.

Ich habe dieser Position nie zugestimmt, doch wurde
Bush oft - meiner Meinung nach zu Unrecht dafür kritisiert, über das Problem überhaupt nachgedacht zu haben. Obama hat diese Position nun aber nicht etwa revidiert sondern nur erklärt, das amerikanische Lager in Guantanamo auf amerikanischen Boden zu verlegen. Nicht mehr, nicht weniger.

Die "irregulären Kämpfer", um die es geht sind jene, die von Amerikanern, ihren Verbündeten in Afghanistan oder in anderen Ländern aufgegriffen wurden. Diese waren Teil des Terror-Netzwerks, man konnte ihnen aber kein in den USA justiziables Verbrechen vorwerfen.

Daher verwundert es, wenn nun
Farouk Abdul-Mutallab in diese Kategorie fallen sollte. Hat er denn nicht versucht ein Verbrechen in den USA zu begehen? Natürlich ist er ein Krimineller und sollte als solcher behandelt werden. Für ihn braucht man das Konstrukt "irregulärer Kämpfer" nicht.Er wurde ja nirgends auf einem Schlachtfeld aufgegriffen, sondern beim Versuch, einen Anschlag zu verüben.

Es wäre ja auch fatal, dies zu tun. War es doch die RAF die in den Siebzigern (wie auch die IRA), die beansprucht hatte, "Kriegsgefangene" oder "politische Gefangene" zu sein. Die Bundesregierung hat es damals zu Recht abgelehnt, ihnen diesen Sonderstatus einzuräumen.

Dazu kommt noch, daß ein Verbrechungsverfolgung nicht das Recht eines Staates ist, sondern dessen Pflicht. Die USA sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten Verbrecher vor Gericht zu stellen und zu bestrafen. Darauf haben die Opfer und die gesamte Rechtsgemeinschaft einen Anspruch!

Aber Zettel bzw.Guiliani kommt mit ganz neuen Gründen, warum es nicht anginge, einen Verbrecher* als Verbecher zu behandeln.

(*Im folgenden ging es dann um
Khalid Sheik Mohammed, einen der Drahtzieher des 11. Septembers, der in der Tat in Pakistan aufgegriffen würde, also als "irregulärer Kämpfer" gelten könnte. Allerdings ist er auch klar Hintermann eines in den USA begangenen Verbrechens.)

-eine Internierung und Aburteilung innerhalb der USA sei ein Sicherheitsrisiko, weil hier ein Anschlag drohe. Dies ist aber ein rein organisatorisches Problem. Man kann Haft und Prozeß auch an sichereren Orten stattfinden lassen. Dies wollen Z. und G. aber nicht, womit auch dieses Argument unehrlich ist.

-Zettel schreibt auch der "Jurist" Giuliani halte den Ausgang Verfahrens für "höchst unsicher". Nun, es ist schon ein erschreckender Gedanke, nicht zu wissen, wie ein Gerichtsverfahren ausgeht. Welches Rechstverständnis haben denn dieser "Jurist" und dieser "Physiker"?

-Pure Heuchelei ist dann die erste Begründung für diese Unsicherheit. Der Angeklagte sei doch "in der Öffentlichkeit ja längst vorverurteilt." Weil die Öffentlichkeit (einschließlich der Herren Obama, Guiliani und Zettel) ihn bereits vorverurteilt hätten, dürfe er keinen normalen Prozeß haben, denn die Vorverurteilung könnte ja das gewünschte Ergebnis untergraben.

-Dann kommen Z. und G. darauf zu sprechen, daß ein solches Verfahren ein gefundenes Fressen für die "cleversten unter den aufstrebenden Anwälten der USA" sei. (Daß Zettel von "
ausgebufften lawyers" spricht ist wohl nur ein sinnloser Anglizismus, doch könnte man auch fragen, warum er Guiliani nicht auch als lawyer sondern als Juristen eingeführt hat. Da könnte man ja meinen, die seien vom gleichen Schlag, und das liegt nicht im argumentativen Interesse.) Es ist sicher nicht alles rosig im amerikanischen Rechtssystem (Zettel würde das aber nie zugeben!), nur müßte man das Problem an sich lösen anstatt für manche Sonderregeln einzuführen.

Zettel fürchtet die Anklage würde "aus formalen Gründen" zerpflückt "auch wegen des waterboarding, dem Khalid Sheik Mohammed mehrfach ausgesetzt gewesen war." Klar würde das ein Problem - eben weil amerikanische Gerichte die Fehler der Anklage zum Mittel zur Entschuldigung der Angeklagten nutzen anstatt die Schuldigen zu strafen. Aber das ist eben ein allgemeines Problem, war es schon bei O.J. Simpson.

-"Und dann sind da noch die Geschworenen. Wie in New York unparteiische Geschworene finden ..." Tja, wie nur. Wie in einem von einem Kindsmord aufgeschreckten Ort unparteiische Geschworene finden. Tja, bevor aufgebrachte Geschworene drankämen, lieber gleich Rübe ab! Das ganze ist ein Argument gegen Geschworenengerichte oder überhaupt gegen menschliche Gerichte - Zettel würde bestimmt gerne einen Justizautomaten haben - aber nicht dafür, diesen Verbrecher anders zu behandeln.
Das den Amerikanern zugefügte Leid ist ohnehin ein Unsinnsargument, denn Leid ist immer da, auch beim bloßen Mord. Von Geschworenen wird nicht verlangt, dem Verbrechen irgendwie neutral gegenüber zu stehen, sondern in der Schuldfrage im Zweifelsfall für den Angeklagten zu entscheiden.

Schließlich bring Zettel noch ein formales Argument. Nach dem Völkerrecht hätten die USA das Recht, "irreguläre Kämpfer" nach dem eigenen Recht abzuurteilen und solches liege in den von George W. Bush aufgestellten Regeln vor. Wohl wahr, aber völlig irrelevant. Denn so wie Bush die Regeln am 18. September 2001 aufstellen konnte, kann Obama sie nun auch ändern. Aber Zettel sagt, das von Bush gesetzte Recht gelte noch, werde von Obama nur nicht angewandt. Nun, das stimmt so nicht, denn die eigentliche Gesetzgebung sprach nur davon (wie Zettel selbst zitiert

That the President is authorized to use all necessary and appropriate force against those nations, organizations, or persons he determines planned, authorized, committed, or aided the terrorist attacks that occurred on September 11 2001, or harbored such organizations or persons, in order to prevent any future acts of international terrorism against the United States by such nations, organizations or persons.
Also wurde der Präsident autorisiert, alles nötige zu tun um die Anschläge von 2001 zu ahnden und weitere zu verhindern. Wenn nun Obama anderes für nötig hält, entspricht das völlig obigem Wortlaut, der ja auch nicht wirklich vom Detailfall "irreguläre Kombatanten" spricht, noch von der gewöhnlichen Strafverfolgung von Verbrechern entbindet.