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Donnerstag, 1. Oktober 2009

Die DDR ist nicht untergegangen ... denn die Karten lügen nicht!

Eigentlich wollte ich ja noch etwas warten, um mich in einigen detaillierteren Beiträgen mit dem sich Zettel nennenden Blogger zu beschäftigen, denn dazu muß ich seine in letzter Zeit noch penetranter und einseitigen Beiträge erst nochmal nachlesen. Aber sein neuester Streich illustriert doch einiges.

"Die DDR ist nicht untergegangen" verkündet er jedem der es hören will (oder auch nicht) und präsentiert dazu die hier einsehbare Karte zu den letzten Bundestagswahlen. Er macht es sich einfach und läßt das kommentarlos stehen - und so könnte er ja jedem Anwurf entgegnen, daß er das ja gar nie nicht gesagt habe. Zumindest in seinem "Raum" selber - in seinem "kleinen Zimmer", dem verlinkten Kommentarforum setzt er noch ein "Falls Sie nicht mehr genau wissen, wo bis vor zwanzig Jahren die innerdeutsche Grenze verlief - hier können Sie es sehen."

Nun ist es sicherlich zutreffend, daß es auch 20 Jahre nach der Wende noch beträchtliche Unterschiede zwischen den beiden ehemals getrennten deutschen Staaten gibt. Und es gäbe auch umfangreiches Kartenmaterial um das zu illustrieren.

Was die letzten Wahlen angeht, schlage ich z.B. die FAZ vom Dienstag (29. September) auf, deren Beilage umfangreich alle Wahlergebnisse nach Ländern, Wahlkreisen, Erst-und Zweitstimmen etc. sortiert aufführt. (Sie liefert übrigens auch eine Aufdröselung der Wahlkreise in jener Stadt an der Spree, wer sich also informieren will, lieber Dagny, kann das auch!) Dabei gibt es auch Karten, welche die Besonderheiten Ost- und West zeigen:

Auf Seite 13 werden die Stärke der jeweiligen Partein in den Wahlkreisen farbig markiert und die Karte zur "Linkspartei" weißt eindeutige Unterschiede zwischen den Ländern auf, in denen 1949 das Grundgesetz (lt. dessen Präambel, also (West-)Berling miteingeschlossen) galt und jenen, in denen es nicht galt. In letzteren ist die ehemalige PDS wesentlich stärker als in ersteren. Aber meine gewundene Formulierung weist schon auf den Haken hin: auch im Saarland ist die "Linke" stark, was sicherlich auf den Oskar-Faktor zurückzuführen ist. Dennoch kann man also auch aus dieser Karte nicht auf die Grenzen der DDR schließen. (Aber vielleicht war das Saarland ja heimlich ein Sattelit Moskaus - Zettel wird das schon noch enthüllen.)

Noch weniger taugt aber die oben verlinkte Karte:

Zwar zieht sich auf der westlichen Seite der ehemaligen Zonegrenze ein massiver Block von Wahlkreisen mit 75-80% Wahlbeteiligung entlang, während auf der Ostseite die meisten Wahlkreise 60-65 % bieten.

Aber schon direkt an der Grenze wird die Sache knifflig: dort haben die Wahlkreise Schwerin-Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern), Eichsfeld-Nordhausen (Th) 65-70% Beteiligung, aber ebenso der Wahlkreis Lübeck (Schleswig-Holstein). Nun gut, mag man sich sagen, daß ist nur eine kleine Unschärfe an der Grenze, die die Gesamtaussage nicht entwertet (insbesondere da ja das Eichsfeld als Hort katholischer Resistenz galt dabei ist).

Aber in die gleiche Farbgruppierungen fallen auch vereinzelte Wahlkreise in Hessen, Rheinland-Pfalz, in Nordrhein-Westfalen, Baden-Würrttemberg, Niedersachsen, der größere Teil der Stadtstaaten Bremen und Hamburg und Wahlkreise in Berlin, v. a. im westlichen Teil.

Naja, vielleicht liegt die sich in der Wahlbeteiligung ausdrückende Grenze ja bei einer Wahlbeteiligung von 65%, in der Grafik zwischen den beiden dunkleren und blasseren Blautönen. Aber auch das klappt nicht: denn im Osten haben nicht nur die genannten Grenzgebiete eine Wahlbeteiligung von 65-70% sondern auch

  • in Mecklenburg-Vorpommern der Wahlkreis Rostock*
  • in Brandenburg die Wahlkreise Oberhavel-Havelland II, Märkisch-Oberland-Barnim*, Dahme-Spreewald, Frankfurt (Oder)-Oder-Spree*, Cottbus-Spree-Neiße*, Elbe-Elster-Oberspreewald. Im Wahlkreis Potsdam-Mittelmark II lag die Beteiligung sogar über 70%
  • in Sachsen , Leipzig II, Bautzen I, Sächsische Schweiz, Dresden I, Dresden II-Bautzen II
  • in Thüringen die Wahlkreise Gotha-Ilm-Kreis und Erfurt-Weimar
Im Gegensatz dazu gingen in vier zusammenhängende Wahlkreise in Niederbayern sowie in vereinzelte an Rhein und Ruhr-Gebiet nur 60-65% der Berechtigten zur Wahl.

Entweder hatte eine sowjetische Gespensterdivision die Ostspitze Niederbayerns besetzt gehalten oder die die Grenze liegt halt bei 60% - doch dann umfaßte die DDR nur die sächsisch-anhaltinischen Wahlkreise Magdeburg*, Anhalt*, Halle*, Burgenland-Saalekreis, Mansfeld* sowie den Wahlkreis Stralsund-Nordvorpommern.

Ich habe einige dieser Wahlkreise mit Stern versehen. Da Zettels Beitrag suggeriert, daß niedrige Wahlbeteiligung eine Hinterlassenschaft der DDR sei (was einer seiner Leser etwas scherzhaft in Frage stellt), könnte man meinen, die Niedrigwahlkreise seien auch Hochburgen der ehemaligen SED, während in den Hochwahlkreisen westliche Parteien dominieren. Doch dem ist nicht so: die Linkspartei reüssierte zumindest in Brandenburg gerade in den Kreisen mit hoher Wahlbeteiligung.

Das Antreten von Spitzenkandidaten scheint übrigens keine Auswirkungen zu haben, zumindest keine positiven: der etwas künstlich nach Brandenburg verfrachtete Außenminister Steinmeier brachte dort nur 64,4% zum Wählen, während der Wahlkreis der Bundeskanzlerin mit 59,9% zur niedrigsten Gruppe gehört. Andererseits, was sollen die Wähler auch tun, wenn bei ihnen die "Graue Effizienz" bzw. die Schwammigkeit in Person antritt. Aber dies nur nebenbei.

Natürlich gibt es für diese Unterschiede in der Wahlbeteiligung Gründe (wie für alles diesseits des Himmels), und die vierzigjährige DDR-Diktatur gehört sicherlich dazu. Doch allein dieser oberflächliche Blick zeigt, daß andere Günde eine größere Rolle spielen (strukturschwache bzw. schwächelnde Regionen, urbane Zentren etc.)

Die Behauptung, an der Wahlbeteiligung die Grenzen der DDR ablesen zu können ist einer von Zettels Schnellschüssen: mal kurz hingeguckt, eine Übereinstimmung zu seinen Vorurteilen entdeckt und gepostet. Soviel zu dem so oft unterstellten besonderen Methodik von Naturwissenschaftlern (Zettel ist Physiker) - diese können nämlich genauso schlampig analysieren wie Geisteswissenschaftler (und sind dann noch wesentlich schlimmer, denn sie halten sich ja für ach-so-analytisch-genau). Bei Zettel kommt noch dazu, daß er die Ideologie, der er anhängt - den Liberalismus - nicht für eine solche hält sondern für völlig unideologisch. Ideologen sind immer nur die anderen!

Das in seinem sich (von einer, wohl eher scherzhaften Bemerkung abgesehen) sich kein Widerspruch gegen den offensichtlichen Mumpitz (welch böses Wort) regt, ist mittlerweile auch symptomatisch. Die meisten, die ihm widersprechen würden, haben das Forum entweder aus Ermüdung über das endlose Schwadronieren verlassen oder wurden (wie meine Wenigkeit - aber davon wird noch zu reden sein) vom Hausherrn höchstselbst hinausbefördert. Einige wenige, dadurch umso hellere Ausnahmen gibt es noch (ich meine insbesondere G. und C.), doch die haben bisher zum Thema noch nicht kommentiert. Bisher nur Jasagerei, der Verweis auf ein ähnlich hanebüchene Behauptungen zu polnischen Wahlen ("es lebe das alte Preußen, daß durch Fortschrittlichkeit und Pflichterfüllung groß geworden ist", hätte wohl Paule von Hindenburg vorgelesen) und die Diskussion der Lebenserwartung in England, nebst (noch so ein Zettelismus) einer unwissenden Bemerkung darüber, was Engländer so essen - natürlich nur Fish 'n' Chips.

Zettel würde meine Kritik sicherlich (wie schon so oft) als "Beckmesserei" abtun. Dann brauch er sich nicht damit auseinanderzusetzen und hat noch seine musische Bildung unter Beweis gestellt. Nur ändert das aber nichts daran, daß seine Behauptung weder Hand noch Fuß hat.